Unser mehr oder weniger ungeliebtes Deutschland hat sich in seiner Geschichte wahrlich nicht immer mit Ruhm bekleckert, und um die Befreiung von der vorletzten Tyrannei mussten wir um Hilfe der Alliierten bitten, indem wir sie zuvor angriffen. Später waren wohl alle halbwegs intelligenten Deutschen froh, dass fremde Länder ihre Soldaten in diesen Kampf geschickt haben, doch das ist schnell in Vergessenheit geraten.
Als es darum ging, für die Befreiung eines kleinen Lands auf dem Balkan zu helfen, in dem es kein Öl oder andere Bodenschätze gab, waren alle Opfer vergessen, die andere Länder für unsere Befreiung gebracht hatten. Unter dem Deckmäntelchen einer vermeintlich pazifistischen Grundeinstellung wurden Befürworter des Einsatzes sogar gewaltsam attackiert – das gerissene Trommelfell von Joschka Fischer, der wohl kaum als Kriegstreiber bekannt sein dürfte, ist heute noch in Erinnerung.
In Liberia ging es vor einigen Jahren auch darum, die Bürgerkrieg zu beenden und das Land von der Tyrannei der Warlords zu befreien. Multinational sollte die Friedenstruppe sein, und so beteiligten sich neben vielen afrikanischen Ländern auch einige asiatische an dieser UN-Mission. Im Bundesstaat Nimba, in dem Ghanta liegt, ist bis heute ein Bataillon aus Bangladesh stationiert, das sich selbst die Abkürzung „BanBat“ gegeben hat.
Wie immer, wenn Befreier von Tyrannei kommen, sind auch die Soldaten aus dem selbst nicht unbedingt reichen Land gefeiert worden, und um dies noch zu unterstützen, haben die Soldaten fleißig Geschenke an die Kinder verteilt, die ihnen am lautesten zugejubelt haben. So hat es sich bei den Kindern in Ghanta, Bahn oder anderen „größeren“ Städten Nimbas eingebürgert, dass die Kinder laut „Baba“ rufen, wenn sie die Soldaten kommen sehen.
Abseits der großen Städte allerdings sind nicht nur UNO-Beamte, sondern auch diese Soldaten nicht zu sehen und so hat es sich lediglich herumgesprochen, dass man mit dieser netten Begrüßung ein paar Geschenke bekommen kann. Wie aber erkennt man Menschen aus einem so fernen Land? Der ultimative Tipp für die Kinder in der Region Butlo: Das sind Menschen, die so eine helle Haut haben, wie ihr sie noch nie gesehen habt.
Nachdem wir uns hinter Bahn in den Busch geschlagen haben und in Richtung der ivorischen Grenze fahren, reiht sich von Dorf zu Dorf das gleiche Spiel: Die Kinder sehen mich im Auto sitzen und rufen laut: „Babba, Babba!“John Brima, unser Lepra-Experte, den ich begleite, klärt mich aber schnell auf, dass wir uns hier nicht verfahren haben und im sächsischen Sprachraum gelandet sind. Das beruhigt mich natürlich besonders mit Blick auf drohende Unterhaltsansprüche.
Im ersten Dorf, in dem John seine Untersuchungen startet – und sogleich drei neue Lepra-Patienten findet – versuche ich, den Kindern zu erklären, dass es in Bangladesh wohl kaum rothaarige Menschen gibt. Zwecklos, meine Haut ist definitiv heller als die ihre, also bin ich „Babba“. Der Chief von Bongarplay klärt mich auf, dass die Kinder ohnehin noch nie einen weißen Menschen gesehen haben. So weit ab von den Hauptstraßen verirrt sich sonst keiner.
Als Dank für meinen Besuch schenkt er mir zum Abschied ein Huhn. Natürlich lebend und fleißig gackernd. Magie, wie wir das Huhn schnell getauft haben, hat auch allen Grund zum Meckern. Schließlich werden wir auf den holprigen Pfaden und hölzernen „Brücken“ kräftig durchgeschüttelt.
Wir erreichen das Haus von Lourse, einer freiwilligen Gesundheitshelferin. Sie hat uns eingeladen, in ihrem Haus zu übernachten, aber vorher müssen wir noch in zwei weitere Dörfer. Magie lasen wir dort, die Meckerei geht uns langsam auf die Nerven. Am Abend kehren wir zurück, und wieder versammelt sich schnell eine erkleckliche Zahl von Kindern: „Babba, Babba!“ Und alle wollen sie fotografiert werden, sie lieben es.
Jetzt wird es Zeit für einen Trick: Das Foto ist mein Geschenk, aber dafür müsst Ihr nicht mehr „Babba“ rufen, sondern das hier: Mein Zeigefinger deutet auf meine Mütze von Borussia Dortmund. Zwei Minuten später sehe ich ein, dass „Borussia“ eindeutig zu schwierig ist für Kinder aus dem hiesigen Sprachraum – wieder eine Gemeinsamkeit zum sächsischen. Also skandiere ich das aus dem Westfalenstadion allseits bekannte und beliebte, langgezogene: „Bee-Vau-Bee“. Es funktioniert.
Ich freue mich schon auf den ersten Anhänger dieses komischen Clubs, der sich nicht mal einen richtigen Stadtnamen leisten kann und in einer Turnhalle Fußball spielt. Wenn so einer irgendwann mal nach Gbendelay kommt, wird der sein gelbes Wunder erleben. Ich verlasse also die behelfsmäßige Südtribüne und begebe mich zu Tisch. Lourses Mutter hat gekocht und es schmeckt vorzüglich. Danke, Maggie, vielen Dank für dieses hervorragende Dinner mitten im tropischen Regenwald.